Teilprojekt: Wahrnehmungen "Europas" durch arabische Muslime - Fallstudie: Reaktionen von Vertretern marokkanischer Parteien auf die Zusammenarbeit mit der EG/EU und auf die Integration Europas seit den 70er Jahren bis Mitte der 90er Jahre (Bearbeiter: Dr. Steffen Wippel)
Zusammenfassung:
Gegenstand des Forschungsvorhabens sind die muslimischen Wahrnehmungsweisen
der europäischen Staatengemeinschaft und die Bewertungen der arabischen Zu-
sammenarbeit mit der EG/EU. Untersucht werden soll dies anhand der Haltungen
und politischen Reaktionen marokkanischer Muslime, die die wichtigsten Par-
teien des Landes vertreten oder ihnen nahestehen. Quellen sind vor allem
Presseorgane und "graue Literatur" der Parteien. Zentrale Frage der Arbeit
ist, wie sich die marokkanische Wahrnehmung unter dem Eindruck zunehmender
Globalisierung und damit einhergehender gegenseitiger Verflechtung mit den
europäischen Institutionen veränderte und wie sich parallel dazu eine zu-
nehmende Annäherungs- und Öffnungsbereitschaft oder eine wachsende Nei-
gung zur Abgrenzung auf wirtschaftlicher wie kultureller Ebene entwickelte.
Betrachtet wird insbesondere der Zeitraum seit den Fortschritten der inner-
europäischen Integration Mitte der 80er und der neuen Intensität der gegen-
seitigen Beziehungen in den 90er Jahren. Der Einbettung in den histori-
schen Kontext dient die vergleichende Erweiterung der Analyse auf die 70er
Jahre.
Stand der Forschung:
Wissenschaftliche Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen der Euro-
päischen Gemeinschaft/Union (EG/EU) und den arabischen Staaten sind zahl-
reich. Länderübergreifende Darstellungen für den gesamten nahöstlich-nord-
afrikanischen Raum oder Staatengruppen stehen neben Länderanalysen. Neben
Globalstudien werden sektorale Untersuchungen unternommen. Neben wissen-
schaftlichen Arbeiten existieren offizielle Dokumente und eine unüber-
schaubare Anzahl von Presseartikeln. Periodika und Jahrbücher geben einen
Überblick über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen. Trotz ihres Umfangs
weist die Literatur Unzulänglichkeiten in Hinblick auf wesentliche Gesichts-
punkte auf. Im Fokus stehen wirtschaftliche, daneben auch sicherheits-
politische Aspekte der Kooperation, während die kulturellen und historischen
Dimensionen "unterbelichtet" bleiben. Die arabische Perspektive wird unzu-
reichend berücksichtigt.
Die vorliegende Literatur konzentriert sich auf die chronologische Gliede-
rung der Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen, auf rein wirtschafts-
wissenschaftliche Untersuchungen sowie auf die europäische Sicht der Zusam-
menarbeit. Daneben finden sich Beiträge von Wissenschaftlern aus arabi-
schen Ländern, deren Sicht auch bei Veröffentlichungen aus gemeinsamen
Seminarveranstaltungen im Vordergrund steht. Für die arabischen Staaten sind
die Mitgliedsstaaten der EG/EU die wichtigsten Wirtschaftspartner. Auch für
die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft stellt seit ihrer Gründung der südli-
che und östliche Mittelmeerraum eine der Schwerpunktregionen ihrer Außen-
beziehungen dar. Eine besondere Beachtung erfuhren dabei die Maghreb-
staaten. Entsprechend den Feldern der europäischen Integration domi-
nierte bislang auch in den Außenbeziehungen der EG/EU das Ökonomische.
In eher politikwissenschaftlich oder -beratend angelegten Analysen zu den EU-
Mittelmeer-Beziehungen werden Interessen definiert, die die Notwendigkeit
einer verstärkten Kooperation belegen, hierfür Optionen aufgewiesen und Hin-
dernisse bei der Realisierung aufgezeigt. Aus europäischer Sicht herr-
schten bis in die 80er Jahre neben wirtschaftlichen Aspekten (Ölversor-
gung) geostrategische Überlegungen im Rahmen des Ost-West-Konfliktes vor.
Heute wird das europäische Interesse an einer Vertiefung der Zusammen-
arbeit vor allem mit bestehenden bzw. drohenden Instabilitäten und gegen-
seitiger Abhängigkeit in vielen Bereichen begründet. Besonders betont wird
die befürchtete Bedrohung Europas durch wachsenden Migrationsdruck und
islamistischen Terror. Mehr oder weniger wird dabei Bezug genommen auf die
Debatte um die Gefahr eines "Kampfs der Kulturen". Mit der Zusammen-
arbeit verbinden sich Hoffnungen auf Demokratisierung, Modernisierung und
Stabilisierung dieser Staaten. Andere verweisen aber auch auf mögliche
politische und kulturelle Gefahren der äußeren Einwirkungen und Zwänge.
Mit den ökonomischen einhergehende politische und vor allem (sozio-)kultu-
relle Aspekte der Zusammenarbeit werden in den Untersuchungen, die meist
von Ökonomen angestellt werden, zwar oft erkannt und ihre Berücksichtigung
in der wirtschaftspolitischen Praxis auch eingefordert, in der Analyse je-
doch überwiegend vernachlässigt. "Globalisierung" ist nicht nur ein rein öko-
nomisches Phänomen, wie man aufgrund der öffentlichen Diskussion annehmen
könnte. So birgt bspw. die wirtschaftliche Globalisierung auch kulturelle Ele-
mente in sich: Kulturell geprägte wirtschaftliche Verhaltensweisen verbreiten
sich international und werden zugleich von den Empfängern "indigenisiert".
Es entstehen "Synkretismen", die oft von "erfundenen Traditionen" legiti-
miert werden. Gleichzeitig findet eine Diskussion um einen "Wettbewerb von
Kulturen" in einer globalen Wirtschaft statt. In diesem kulturellen Wettbewerb
existieren nach Ansicht zahlreicher Autoren allerdings keine reinen, scharf
abgegrenzten Kulturen; regionale "Pan-Nationalismen" können sich zwischen
die globale und die nationale Ebene schieben.
Unzureichend berücksichtigt wird auch, daß die Beziehungen der arabischen
Mittelmeerländer zur EG/EU in einer langen historischen Linie umfassender
gegenseitiger Kontakte stehen. Diese Beziehungen waren verbunden mit Wahr-
nehmungen des Partners und Gegners Europa, die erst in jüngeren Jahren
Gegenstand wissenschaftlicher Aufarbeitung wurden. Dabei zählt Marokko zu den
Ländern, die den Prozeß des Austausches mit Europa und der gegenseitigen Ab-
hängigkeit, der Annäherung wie der Abgrenzung in ihrer langen gemeinsamen
Geschichte besonders intensiv erfuhren. Die Kolonialherrschaft hinterließ
tiefe Spuren und eine zerrissene Gesellschaft. Die besondere innere Spannung
zeigt sich auch im offiziellen Staatsverständnis, das versucht, traditionale
wie moderne Elemente zu vereinen, sich dabei auf religiöse wie regionale Kom-
ponenten stützt und gleichzeitig europäische Ansätze zu integrieren bestrebt
ist. Wichtige zeitgenössische muslimische Intellektuelle wie Laroui und al-
Gâbirî stammen aus Marokko und versuchen die geographische wie kulturelle
Position an einem der zentralen Schnittpunkte zwischen Ost und West geistig
zu verarbeiten.
Die Sichtweisen arabischer (politischer) Akteure werden - im Gegensatz zu
denen in Osteuropa - in Europa bislang kaum rezipiert. Werden sie auf wenigen
Zeilen wiedergegeben, dann handelt es sich um offizielle Verhandlungspositio-
nen der Regierungsvertreter oder Stimmen der Unternehmensverbände, die aber
nicht die Vielfalt der innerstaatlichen politischen Positionen widerspiegeln.
Einer der wenigen politisch aktiven Muslime, die in diesen Fragen in der west-
lichen wissenschaftlichen Literatur selbst mit kritischen Äußerungen zu Wort
kommt, ist Oualalou als Abgeordneter der marokkanischen Opposition. Dieses
Manko besteht fort, obwohl in der arabischen Staatenwelt eine Welle auch der
politischen Liberalisierung einsetzte. In Marokko, das Parteienpluralismus
seit der Unabhängigkeit kennt, wurde das parlamentarische System ab Ende
der 80er Jahre wieder gestärkt. Ebenfalls schon länger besteht in Marokko
Presse- und Meinungsvielfalt. Das Konsultations- und Konsensprinzip ge-
währt den augenblicklichen Oppositionsparteien relativ weitreichende Ein-
flußmöglichkeiten. Gerade in wirtschaftlichen und sozialen Fragen gibt es
heftige öffentliche Debatten, die auch Einfluß auf die Regierungspolitik
haben. Während die Berufung auf Tradition und Gedankengut des Islam einen
zentralen Platz in der politischen Legitimation einnimmt, blieb die gesell-
schaftliche Verankerung oppositioneller islamistischer Organisationen bislang
begrenzt.
Die europäische Sicht auf Notwendigkeiten, Wünschenswertes und Machbares
hinsichtlich der gegenseitigen Kontakte ist also ausreichend bekannt und
publiziert. Was fehlt, ist eine umfassende und vergleichende Bestandsauf-
nahme der Wahrnehmungen und Positionen auf muslimischer Seite. Neben den
harten Daten über die Fähigkeit zur und die Konsequenzen der Kooperation ist
für den politischen Kooperationswillen auch die interne Wahrnehmung und Beur-
teilung der Vor- und Nachteile der Zusammenarbeit von Bedeutung. Verein-
zelt sind sich europäische Beobachter ihrer weitgehenden Unkenntnis der
Positionen auf muslimischer Seite bewußt und versuchen eine Auseinan-
dersetzung mit kooperationsrelevanten Fragen anzustoßen. Ein intensives
gegenseitiges Verständnis wird als notwendige Basis für einen Dialog und
zur Bewältigung der gemeinsamen Probleme angesehen, zumal die Beziehungen
oft von Vorurteilen und gegenseitiger Abgrenzung geprägt sind.
Forschungsziele:
Das Forschungsvorhaben untersucht die geistige Verarbeitung der fortschrei-
tenden Annäherung Marokkos an das geeinte Europa in der politischen Öffent-
lichkeit des Landes, wie sie sich in für ein breiteres Publikum bestimmten
Texten niederschlägt. Die Positionen auf muslimischer Seite wird das Teil-
projekt entsprechend den Forschungsdefiziten, wie sie sich aus der EU-Mittel-
meer-Literatur ergeben, systematisch darstellen und analysieren. Dabei geht
es vor allem um Fragen von Aufnahme und Abwehr fremder Einflüsse und um die
Verflechtung von wirtschaftlichen und damit einhergehenden kulturellen Pro-
zessen. Die Konzentration auf diese Aspekte folgt einerseits dem gemeinsamen
Anliegen von Zentral- und Gruppenprojekt und vermeidet andererseits ein
Abgleiten in rein wirtschaftstheoretische Analysen.
Mit der politischen Liberalisierung und Pluralisierung in der arabischen Welt
erhalten Einstellungen von Vertretern politischer Interessengruppen zu den
euro-arabischen Beziehungen zunehmende Bedeutung und wachsenden Einfluß.
Im Rahmen der Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen ist dies auch von
Interesse für die wissenschaftliche Analyse wie für die politischen Beob-
achter und Akteure in Europa. Untersucht werden daher in den ersten drei
Jahren Aussagen marokkanischer Politiker, Wissenschaftler und Publizisten,
die in den wesentlichen Parteien und in den mit ihnen verflochtenen Gewerk-
schaften und Verbänden organisiert sind oder diesen nahestehen. Hierzu zählen
auch herausragende Persönlichkeiten wie al-Gâbirî, der seit langem partei-
politisch aktiv ist und sich zu aktuellen politischen Fragen äußert. Das poli-
tische Spektrum reicht von königsloyalen Wahlvereinen über den früher
staatstragenden "Istiqlâl", in dem noch am ehesten als "islamisch" identi-
fizierte Stimmen zu Wort kommen, bis zu Parteien, die sich zu marxistisch-
leninistischem Gedankengut bekennen. Unterschiede der Wahrnehmung und
Argumentation in den Parteien sind herauszuarbeiten. Dabei wird davon aus-
gegangen, daß die Einstellungen über das untersuchte Meinungsspektrum hinweg
beträchtlich divergieren und im Laufe der Zeit einem erheblichen Wandel
unterlagen.
Angestrebt wird die Untersuchung über mehrfache, vielschichtige Umbruch-
situationen hinweg. Im Vordergrund steht die Phase ab Mitte der 80er Jahre:
sie umfaßt Reaktionen auf europäische und bilaterale Ereignisse (Abschluß EG-
Süderweiterung, Binnenmarktprojekt, Neue Mittelmeerpolitik) und vor dem
Hintergrund regionaler und globaler Geschehnisse (Ende Ost-West-Konflikt, 2.
Golfkrieg, Nahostfriedensprozeß), die sich erheblich auf Marokko und seine
Handlungsspielräume auswirkten. Wesentlicher Gegenstand der Untersuchung ist
darüber hinaus der langfristige Wandel der Wahrnehmungsmuster, der seit dem
ersten Abkommen 1969 bzw. seit der Gründung eines Teils der betrachteten
Parteien und Presseerzeugnisse in den 70er Jahren vor dem Hintergrund
des Übergangs vom Arabischen Sozialismus zur infitâh-Politik, dem Aufkommen
des politischen Islam sowie der regionalen Ereignisse und ihrer globalen
Folgen eintrat. Damit wird eine historische Situierung der Wahrnehmungen aus
der jüngsten Kooperationsphase möglich.
Untersucht werden Wahrnehmungen der fortschreitend engeren Kooperation
Marokkos mit den europäischen Institutionen und die Reaktionen darauf.
Während die Zusammenarbeit sich bislang vor allem auf die wirtschaftliche
Ebene beschränkte, betrifft diese Untersuchung mehrere Dimensionen. Mehrfach
taucht in dem Projekt auch die Problematik von "Globalisierung" und von "An-
eignung" und "Abgrenzung" auf.
Zu analysieren sind Ansichten nicht nur zu den wirtschaftlichen Aspekten,
sondern auch zu den damit verbundenen politischen und kulturellen Dimen-
sionen der Kooperation selbst. Diese umfassen Stellungnahmen zur Notwendig-
keit und Vorteilhaftigkeit eines ergänzenden politischen und kulturellen
Dialogs, zu politischen und kulturellen Hindernissen der Zusammenarbeit
und zur Glaubwürdigkeit der EU-Politik. Bei der Einschätzung und Beurtei-
lung der Auswirkungen, die von der zunehmenden wirtschaftlichen Öffnung nach
Europa, aber auch vom Prozeß der Vertiefung und Ausweitung der europäi-
schen Integration selbst erwartet werden, geht es ebenfalls nicht nur um wirt-
schaftliche, sondern auch um politische und kulturelle Folgen. Diese be-
treffen einerseits die von den wirtschaftlichen Umbrüchen ausgehenden sozia-
len, politischen und kulturellen Chancen und Risiken für die eigene Gesell-
schaft. Andererseits geht es in der Studie auch um Positionen zur Änderung,
vor allem zur "Modernisierung", "Europäisierung" und "Verwestlichung" wirt-
schaftlicher Verhaltensweisen und umgekehrt zur "Ökonomisierung" des
öffentlichen und privaten Lebens.
Zu untersuchen sind auch die Strategien und Konzepte, die entwickelt werden,
um mit diesen Folgen umzugehen. Neben der Öffnung und Schließung der Gren-
zen für die Wirtschaft geht es dabei insbesondere um Bezugspunkte für eine
eigene Identität und um die Bedeutung einer regionalen Zusammenarbeit.
Die Deutungen können zur Ablehnung, aber auch zur Bereitschaft führen, sich
dem Partner, seinen Werten und Institutionen anzunähern und äußere Einflüsse
aufzunehmen. Es wird also die Lokalisierung Marokkos im Mittelmeerraum,
zwischen der arabisch-islamischen Welt und Europa angesprochen. Bis zu wel-
chem Ausmaß erscheint bspw. eine Strategie gegenseitiger wirtschaftlicher Ver-
flechtung und Abhängigkeit auch sozialpsychologisch akzeptabel? Dienen Kon-
zepte regionaler Integration eher der Abschottung oder der Stärkung gemein-
samer Verhandlungspositionen?
Nicht zuletzt ist den Einflüssen auf die Wahrnehmungen und Reaktionen selbst
nachzugehen. Zu fragen ist nach der Herkunft der Ideen. Deutungen und
Stellungnahmen unterliegen selbst globalen Prozessen. Hier fließen neben
ökonomischen Motiven wirtschaftspolitische Grundhaltungen und soziokultu-
relle Prägungen mit ein. Diese speisen sich aus eigenen Wurzeln, nehmen aber
auch internationale Denkströmungen, Weltbilder, Ideologien etc. mit auf. Von
besonderem Interesse ist daher, ob und wie in der Diskussion weitgehend
europäische Denkschemata, Konzepte und Erfahrungen übernommen oder "eige-
ne" arabische oder islamische Komponenten in die Überlegungen integriert
werden.
Aneignung und Abgrenzung sind miteinander verschränkte, gleichzeitig ab-
laufende Prozesse. Es ist davon auszugehen, daß beide Praktiken, wenn auch
je nach Partei in unterschiedlichem Ausmaße, überlappen, daß Globalisierung
und Regionalisierung, wirtschaftliche und soziokulturelle Öffnung nach Europa
wie Rückzug auf das "Eigene" weitgehend komplementäre Strategien darstellen.
Ähnlich wie die gegenseitigen marokkanisch-deutschen Fremdbilder werden
die hier untersuchten Wahrnehmungen eine Tendenz zur Scheidung in unter-
schiedliche Sphären aufweisen und von zunehmender Komplexität geprägt
sein. In wirtschaftlichen Fragen werden heute die meisten Parteien zunehmend
und weitgehend pragmatisch die Unumgänglichkeit einer grundsätzlichen
Öffnung nach Europa hinnehmen - trotz heftiger Kritik im Detail und er-
heblicher Differenzen zwischen den Parteien, was Schnelligkeit und Ausmaß
der Öffnung, die Betonung sozialer Aspekte und die Möglichkeiten der staat-
lichen Intervention angeht. Anzunehmen ist, daß stärker als in der gängigen
wissenschaftlichen Literatur die Traditionslinie der Beziehungen und die enge
Verbundenheit von Wirtschaft, Politik und Kultur wahrgenommen wird. Ein er-
wartetes Ergebnis ist, daß gerade in kulturellen Fragen eher die Eigenständig-
keit der Identität - auch bei Akzeptanz eines gewissen Wandels - betont wird.
Hier wird vor allem die grundsätzliche Diskussion um "Arabität" ('urûba), die
mit dem Golfkrieg auflebte, eine Rolle spielen. Es ist zu erwarten, daß - mit
der Stärkung staatskritischer islamischer Positionen auch außerhalb des
systemoppositionellen Islam - dabei zum Teil auf bekannte "islamische"
Kategorien zurückgegriffen wird. Häufig werden sich hinter den verwendeten
Begrifflichkeiten dennoch neue, "hybride" wirtschaftliche, politische und
kulturelle Konzepte verbergen.
Arbeitsprogramm:
Nach der gründlichen Aufarbeitung der in Berlin und Deutschland zugänglichen
Sekundärliteratur zum Untersuchungsgegenstand besteht die hauptsächliche
Arbeit in der systematischen Erfassung und Auswertung schriftlicher Primär-
quellen der untersuchten marokkanischen Parteien, der ihnen verbundenen
Organisationen und ihrer individuellen Vertreter. In Frage kommen dabei ins-
besondere die regelmäßig erscheinenden Presseorgane der Parteien. Ihr
Studium wird ergänzt von der Auswertung "grauer Literatur" der Parteien und
Gewerkschaften sowie von Veröffentlichungen ihrer repräsentativen Persön-
lichkeiten. Daneben können weitere Presseerzeugnisse, in denen bspw. häufig
Interviews mit Parteivertretern erscheinen, zur Analyse herangezogen werden.
Gespräche und Interviews ergänzen die schriftlichen Quellen.
In Ausweitung der Fallstudie sollen in einer anschließenden zweiten Projekt-
phase entsprechende Erkenntnisse für Parteien unterschiedlicher politi-
scher Strömungen in Ägypten gewonnen werden. Dies wird den Vergleich der
Wahrnehmungs- und Reaktionsprofile von Muslimen in zwei wichtigen Partner-
ländern Europas im Mittelmeerraum ermöglichen, die beide über lange Er-
fahrungen mit der Öffnung und Liberalisierung der Wirtschaft verfügen und in
der arabischen Welt relative politische Freiheiten mit einer langlebigen und
diversifizierten Landschaft an Parteien und Presse kennen.