Steffen Wippel

Forschungsvorhaben 2000-2003


Zusammenfassung aus dem DFG-Projektantrag

Zum Gruppenprojekt (ausführliche Zusammenfassung)
Zum Teilprojekt von Steffen Wippel (ausführliche Zusammenfassung)
Zum Teilprojekt von Laurence Marfaing (Kurzzusammenfassung)


Gruppenprojekt:
Transsaharische Beziehungen
zwischen Marokko und dem subsaharischen Afrika: Neugestaltung und Wiederbelebung transregionaler Verbindungen
(Bearbeiter: Dr. Steffen Wippel, Dr. Laurence Marfaing, Bearbeitungszeitraum: 2000 - 2003)


Die Sahara gilt einerseits als schwer zu überwindende natürliche Barriere, zugleich weist sie eine lange Geschichte als Begegnungs- und Durchgangsraum für Menschen, Güter und Ideen auf. Vor dem Hintergrund globaler und regionaler Entwicklungen läßt sich für die 90er Jahre ein neues Interesse von nordafrikanischer Seite am subsaharischen Afrika konstatieren.

Das Forschungsvorhaben untersucht die Entfaltung dieser saharaüberschreitenden Kontakte; zeitlich liegt sein Schwerpunkt auf aktuellen Entwicklungen während des letzten Jahrzehnts. Als Ausgangs- bzw. Endpunkt der gegenseitigen Beziehungen wurde Marokko aufgrund seiner historischen Bedeutung im transsaharischen Handels- und Kulturkontakt gewählt. Heute unternimmt Marokko neue Aktivitäten Richtung Afrika; die Verbindung durch die westliche Sahara stellt eine wichtige Verkehrsroute dar. Ausgangspunkt der Betrachtung sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Marokko und dem subsaharischen Afrika, da diese auch in den saharaüberschreitenden Beziehungen zunehmend an Bedeutung gewinnen; oft sind sie jedoch mit untergründigen Bestrebungen verbunden, außenpolitische Positionen im afrikanischen Raum zu stärken.

Mit der Untersuchung der transsaharischen Kontakte ordnet sich das Vorhaben in eine neue Forschungslinie am Zentrum Moderner Orient ein, die sich auf großräumige "Binnenbeziehungen" konzentriert. Diese überschreiten außereuropäische Räume, die außerhalb der gängigen Regionalkategorien liegen und lange Zeit als "peripher" galten.

Zugleich wird die bisherige Globalisierungsthematik am ZMO weiterentwickelt. Theoretisch nimmt das Vorhaben der wirtschafts- und kulturwissenschaftlichen Globalisierungsdebatte gemeinsame Aspekte von Homogenisierung und Heterogenisierung auf. Dabei folgen die Projektbearbeiter dem Diskussionsstand dahingehend, daß es sich dabei jeweils um miteinander verwobene, gleichzeitig stattfindende und häufig einander bedingende Prozesse handelt, die von Überlappungen, mehrfachen Zugehörigkeiten und erfinderischen Synkretismen geprägt sind.

Rekurriert wird unter anderem auf neuere wissenschaftliche Ansätze zur wirtschaftlichen Regionalisierung. Diese Überlegungen werden dahingehend fruchtbar gemacht, daß die transsaharischen Beziehungen unter dem Aspekt der nach mehreren Seiten "offenen Regionalisierung" betrachtet werden, die auf die gemeinsame Eingliederung in die Weltwirtschaft abzielt und mehrdimensionale, überlappende Orientierungen ermöglicht. Auch ist Regionalisierung nicht immer nur ein "von oben" institutionalisierter und politisch gestalteter Vorgang, sondern in Form "marktgetriebener" regionaler Verdichtung von Wirtschaftsbeziehungen auch ein Ergebnis mikroökonomischer Aktivitäten.

Anliegen des Projekts ist es, ökonomische Dimensionen von Regionalisierung mit ihren kulturellen und kognitiven Aspekte zu verbinden. Eine wesentliche Stellung in jüngeren Erklärungsansätzen zur Regionalisierung nehmen die geographische und kulturelle Nähe und historische Gemeinsamkeiten ein. Der Rolle von Ideen und gemeinsamen Interessen sowie der Herausbildung einer gemeinsamen Identität und Vorstellung über die Region wird wachsende Bedeutung zugeschrieben.

Im Rahmen von Globalisierung und Medialisierung bedürfen zudem politische und wirtschaftliche Handlungsstrategien zunehmend der Begründung und Legitimation gegenüber der Öffentlichkeit. Über die öffentliche Auseinandersetzung wird der Kooperationsraum im Bewußtsein verankert. Gerade für die Stabilisierung längerfristig angelegter externer Orientierungen kommt der Herausbildung gemeinsamer Identitäten große Bedeutung zu. Hier besteht die Möglichkeit, die eher wirtschaftsorientierten Ansätze mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Überlegungen zu verknüpfen. So hat sich die neuere sozialanthropologische Forschung intensiv mit durch die Globalisierung vermittelten Neuaushandlungsprozessen kultureller Identitäten einschließlich sozialer, politischer und ökonomischer Bezüge beschäftigt. Erleichterte Mobilitätserfahrungen und das Leben und Agieren in unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Kontexten führen zur Bildung translokaler Gemeinschaften über politische und kulturelle Grenzen hinweg mit oft überlappenden Loyalitäten.

In diesem Kontext ist es besonders interessant, den Blick auf die Entstehung neuer oder die Revitalisierung alter transregionaler Bezüge, die vermittelnden Praktiken und ihre Träger zu richten. Dabei wird die Frage virulent, wie übergreifende Kontakträume unter teilweise zunehmendem Rückzug von Staatlichkeit und internationalen Regimen konstituiert werden können. Der ökonomische und politische Rückzug des Staates aus vielen Bereichen der Gesellschaft hat neue Handlungsspielräume für eine Vielzahl von Akteuren geschaffen. In diesem Zusammenhang nehmen Kleinunternehmer als "interkulturelle Makler" eine zentrale Rolle für die "Regionalisierung von unten" ein. Die erheblichen Innovationsleistungen auf der Mikroebene sind als direkte und pragmatische Antworten auf turbulente soziale, politische und ökonomische Wandlungsprozesse zu verstehen.

Regionale Identität kann also wie lokale Identität "von oben", aber auch "von unten" geschaffen werden. Dies soll aufgegriffen werden, indem sowohl nationale Diskussionsprozesse zur Verortung des eigenen Landes in größeren räumlichen und kulturellen Zusammenhängen als auch Wahrnehmungen und Identitätsbildungsprozesse translokaler Akteure untersucht werden. Die Integration volkswirtschaftlicher, kulturwissenschaftlicher und sozialanthropologischer Herangehensweisen soll die Mikro- und Makroebenen der Beziehungen zwischen Marokko und dem subsaharischen Afrika beleuchten.


Teilprojekt 1:
Marokkos Außenbeziehungen mit dem subsaharischen Afrika am Ende des 20. Jahrhunderts: Materielle und kognitive Aspekte regionaler Verdichtung
(Bearbeiter: Dr. Steffen Wippel, Bearbeitungszeitraum: 2000 - 2003)


Das Teilprojekt wird ein starkes Gewicht auf die Analyse von Makrozusammenhängen legen. Im Zentrum steht die Rolle der Sahara und Afrikas als möglicher regionaler Verortungs-, Kooperations- und Integrationsraum Marokkos. Zahlreiche Ursachen führten in den 90er Jahren zu einem neuen Aufschwung der Beziehungen Marokkos zu den subsaharischen Staaten Afrikas. Zum einen ordnen sich diese jüngeren Entwicklungen in ein generelles Bemühen nordafrikanischer Staaten ein, ihre transsaharischen Verbindungen neu zu beleben. Zum andern bestanden historisch intensive und vielfältige Beziehungen von Marokko aus über die Sahara hinweg. Eine Bestandsaufnahme soll die sich verdichtenden wirtschaftlichen Kontakte Marokkos mit dem subsaharischen Afrika im letzten Jahrzehnt und deren engen Verflechtungen mit politischen und kulturell-religiösen Beziehungen erfassen. Zugleich gilt es, das Verhältnis "politik-" vs. "marktgetriebener" Regionalisierungstendenzen abzuschätzen.

Marokkanische Wissenschaftler und Politiker setzen sich nicht nur mit dem Verhältnis zu Europa oder zur arabischen Welt auseinander, sondern heben auch die "Afrikanität" ihres Landes und seine Drehscheibenfunktion zwischen Afrika und Europa hervor. Besondere Aufmerksamkeit gilt daher den mit den materiellen Beziehungen einhergehenden Wahrnehmungen Afrikas, dem legitimierenden Diskurs zu den transsaharischen Beziehungen seitens der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten des Landes sowie den Verständigungsversuchen in Marokko über die saharaüberschreitende Zusammengehörigkeit. Die Wechselwirkungen zwischen der Praxis der materiellen Beziehungen und der politischen und intellektuellen Auseinandersetzung im Lande mit dieser Außenorientierung sind weitere zentrale Bestandteile der Untersuchung. Sie sollen unter besonderer Betrachtung ihrer zeitlichen Parallelität, inhaltlichen Deckungsgleichheit und wechselseitigen Stärkung gegenübergestellt werden. So gilt es bspw. allfällige historische Begründungen mit tatsächlichen Ausrichtungen der Wirtschaftsbeziehungen zu vergleichen.

Darüber hinaus werden längerfristige Entwicklungen über den Zeitraum seit der Unabhängigkeit Marokkos untersucht. Dabei gilt es insbesondere den Wandel der Orientierungs- und Begründungsmuster sowie grundsätzliche Unterschiede zwischen "alter" und "neuer Regionalisierung" herauszuarbeiten und jüngere Entwicklungen in längere Wellen transsaharischer Integration und Fragmentierung einzuordnen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei Einflüssen globaler und regionaler Zäsuren auf Um- und Neuorientierungen. Die transsaharische Ausrichtung nach Afrika soll kontrastiert werden mit Alternativen (Europa, Mittelmeer, Maghreb, arabische Welt) und ihren Begründungen. Zugleich gilt es die ambivalente Rolle von Regionalisierung im Spannungsfeld von wirtschaftlicher wie kultureller Homogenisierung und Fragmentierung zu beachten.

Theoretischer Ausgangspunkt des Teilprojekts ist die Auseinandersetzung mit Fragen der regionalen Integration und Verdichtung. Neben der wirtschaftspolitisch geprägten Debatte der Regionalisierung werden im Teilprojekt auch Überlegungen zur Herausbildung transregionaler Beziehungen und Räume einbezogen, die eher in sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen diskutiert werden. Hierbei wird der "Erfindung von Traditionen" und der "Imagination von Gemeinschaften" bei der Wiederbelebung und Neugestaltung räumlich-kultureller Identitäten und Zusammengehörigkeiten ein besonderes Augenmerk zu widmen sein.

Methodisch wird die Auswertung politischer, wissenschaftlicher und tagesaktueller Veröffentlichungen zum Verhältnis Marokko - subsaharisches Afrika im Vordergrund stehen. Gespräche mit marokkanischen Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft werden die schriftlichen Quellen ergänzen. In exemplarisch ausgewählten Ländern südlich der Sahara (z. B. Senegal, Côte d'Ivoire) sollen zusätzliche Informationen erhoben werden.

Das Teilprojekt kooperiert eng mit


Teilprojekt 2:
Kleinunternehmer als "interkulturelle Makler": Zur Entstehung sozialer Räume durch wirtschaftliches Handeln am Beispiel der transsaharischen Beziehungen zwischen dem Senegal, Mauretanien und Marokko
(Dr. Laurence Marfaing, Bearbeitungszeitraum 2002-2003)


Das zweite Teilprojekt will mit einer handlungsorientierten Akteursanalyse vor allem die aktuelle soziale, ökonomische und politische Praxis afrikanischer Binnenbeziehungen und die Umsetzung intellektueller und politischer Perzeptionen auf der Mikroebene nachvollziehen. Am Beispiel von im Transsaharahandel mit Marokko involvierten Kleinunternehmern aus Westafrika wird deren Beitrag als "interkulturelle Makler" zur Entstehung eines translokalen Raumes untersucht. Sie werden als Akteure begriffen, deren unternehmerisches Handeln wichtige Plattformen für die Aushandlung sozialer, politischer und kultureller Beziehungsnetze im Kontext eines regionalen Verdichtungsprozesses herstellt.

Die Analyse ihrer Handlungsrationalitäten und Selbstorganisationspotentiale und ihres Umgangs mit multilokalen Zugehörigkeiten und soziokulturellen Milieus soll zur empirischen Mikrofundierung des Untersuchungsgegenstandes beitragen. Dabei wird besonders der Frage nachzugehen sein, inwiefern individuelle Akteure, die im Rahmen der Makroentwicklungen Globalisierung, Regionalisierung und (zumindest partiellem) Staatsversagen handeln, umgekehrt Entwicklungen anstoßen, die auch auf der Makroebene wirksam werden.


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